Das Interview erschien in der Intro / 2018
Gilt der Begriff Supergroup eigentlich schon bei zwei Personen? Er sollte es auf jeden Fall. Laura Marling und Mike Lindsay (Tunng, Throws) haben ihre Superkräfte vereint und zusammen als Lump etwas wahrhaft Traumhaftes erschaffen. Wenn man zwei so kreative Köpfe wie Laura Marling und Mike Lindsay auf einem Haufen trifft, glaubt man unweigerlich an Zufall. Oder an einen Traum. Vielleicht sollte ich mal gezwickt werden, nur damit ich mich der Realität versichern kann. Gemeinsam sind sie mehr ausgelassene als nur höfliche Gesprächspartner. Lauras Stimme ist unfassbar Raum einnehmend und wirkt dennoch so, als würde sie nur ihr halbes Volumen einsetzen. Außerdem lacht sie viel. Das muss wohl an Mike liegen, der durch seine Art, die Worte zu betonen, schnell eine leichtlockere Atmosphäre ermöglicht. Er erinnert an einen Quizshow-Moderator, der von dem, was er sagt, selbst oft überrascht wird. Und Laura blickt ihn unentwegt amüsiert an.
An einem Abend im Juni 2016 fing alles an. Da schüttelten sie einander nach einer Show von Neil Young, bei der Laura Support war, erstmalig die Hände. Zum Glück blieb es nicht allein bei dem Handschlag. Danach fanden sie heraus, dass sie seit geraumer Zeit großes Interesse an dem musikalischen Output des jeweils anderen hatten. Es war klar: it’s a match! Kurz darauf schaute Laura in Mikes Studio in London vorbei, hörte sich den komplexen Klangzyklus an, an dem er arbeitete, und sie legten los. Keine langen Meetings und keine Rede von einer Wahnsinnsvorbereitung. „Ich sah Laura, wie sie in meinem Studio zum ersten Mal die Musik hörte, wie sie in ihrem Kopf ankam, durch die Hand ging, durch den Stift, auf das Papier und nach zwei Stunden ungefähr ins Mikrofon. Laura schreibt, als würde sie Geschmacksrichtungen entwerfen. Das ist ziemlich besonders für mich.“
Ihr Luxus war der fehlende Zweck, wie die beiden immer wieder im Interview betonen. Kein Druck, kein Problem. „Ich hatte Zeit, Mike auch. Aber wir erzählten sonst niemanden davon – das war der Schlüssel“ wirft Laura ein und Mike ergänzt mit einem verschwörerischen Grinsen: „Das war unsere geheime Zeit.“ Über mehrere Monate trafen sie sich auf diese Weise. Ihr Motto: Wenn es nicht funktioniert, gehen wir halt ein Bier trinken. Doch obwohl sich die zwei Briten vorher kaum kannten, verstanden sie sich intuitiv durch die Musik. Dass die Kooperation mit wenigen Worten ablief, ist auch bei unserem Zusammentreffen zu merken. Sie sind immer noch in der Kennenlernphase. Beständig haken sie bei den Sätzen des anderen nach, wollen – genau wie ich – noch viel, viel mehr erfahren, um so das Gegenüber greifbarer zu machen.
In der Vergangenheit war insbesondere Laura nicht immer die Offenherzigste. Nur zu gerne zog sie sich zurück und ließ die Außenwelt mit Fragezeichen auf sich warten. Jetzt bietet der Surrealismus des frühen 20. Jahrhunderts ihre Version eines Annäherungsversuchs an die Welt da draußen. Es war Zeit für einen Wandel: „Ich würde mich gerne als eine sich beständig in Veränderung befindliche Person sehen. Tatsache ist aber, dass ich erst mit Lump eine richtige Veränderung geschafft habe. Es ist mein Ausbruch daraus, zehn Jahre Laura Marling gewesen sein zu müssen.“ Ihre Worte klingen härter, als sie es meint. Ihre Texte sind dagegen träumerischer denn je. Die Inspiration dafür fand sie in Los Angeles, wo sie von 2013 bis 2014 lebte. „Ich beschäftigte mich dort viel mit dem luziden Träumen. Dabei malt man sich Punkte auf die Handgelenke. Instinktiv schaut man immer darauf, erinnert sich an sie. Wenn die Punkte im Schlaf nicht mehr da sind, macht es bewusst, dass man gerade träumt.“ Mike fasziniert es, wenn Laura ihre Kenntnisse teilt. Fast feierlich berichtet er, mehr über die Welt und das Universum wissen zu wollen, seitdem er mit Lauras unstillbarem Wissensdurst konfrontiert wurde.
Und doch ist es erst Mikes umfangreiches technisches Know-how, das die sieben inhaltlich so unterschiedlichen Tracks zusammenhält. Auch wenn er an dem experimentellen Folk erst so richtig in seinem Londoner Kellerstudio angefangen hat zu arbeiten, vermutet man Island nachhallen zu hören – die vielen kaum zuzuordnenden Geräusche, die manchmal wie aufkochende Geysire, manchmal aber auch wie die moosbedeckte Weite selbst klingen. In Island hielt er sich für viele Jahre auf, der Rückweg in die Heimat fiel ihm schwer. „Ich träume manchmal sogar auf isländisch“, gibt er zu.
Die nächtlichen, unterbewussten Gedanken sind eben etwas, das Lump nicht nur textlich begleitet. Laura trägt regelrecht Kämpfe im Schlaf aus. „Mindestens einmal pro Woche habe ich den Traum, mir würde jemand die Haare abschneiden. Zuletzt träumte ich von einem Friseurbesuch, in dem ich um die Haarfarbe von Jamie Lee Curtis bat und mir ein Kurzhaarschnitt mit grauen Spitzen verpasst wurde. Ich hasste es. So wie ich es sofort hasste, nachdem ich mir wirklich einmal die Haare abschneiden ließ. Das war nicht mehr ich.“ Ihr Alptraum ist nachvollziehbar. Schließlich stellt sich auch ihr selbst kreierter Charakter als etwas herrlich Haariges dar. Der Yeti, den das Duo auf dem Cover des selbstbetitelten Debüts präsentiert, schüttelt seine Haarpracht auch im Video zu „Curse of the Contemporary“. Aber momentan ist Lump noch ein recht zurückhaltender Charakter. „Ich hoffe, er wird extrovertierter. Aktuell hilft nur viel Rum.“ Bei dieser Art der Vermenschlichung der Figur muss Laura losprusten. Erneut schafft es Mike, seine Kollaborationspartnerin aus der Reserve zu locken. Schade ist nur, dass sich die zwei bis zum Schluss kein bisschen in die Karten gucken lassen, ob es weitere, so traumhafte Verbindungen ihrer Fähigkeiten geben wird. Aber wie gesagt: Lump ist eben sauschüchtern.